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Hinter den Kulissen
05.12.2019

Jeden Zugkilometer im Blick – Wer macht eigentlich die S-Bahn Fahrpläne?

Na, wieder mal 'nen stressigen Tag gehabt? Viele Termine? Lasst euch trösten: Gegen den Terminplan eines S-Bahn Zuges liest sich sogar Angela Merkels Timer wie 'ne entspannte Strandlektüre. Über 230 Münchner S-Bahnen bringen jeden Tag rund 840.000 Menschen von A nach B. Um diese Mammutaufgabe zu wuppen, ist akribische Planung angesagt. Das Faszinierende dabei: Die Weichen für jede einzelne Regelfahrt werden schon mindestens ein Jahr im Voraus gelegt. Aber wie entsteht überhaupt so ein Fahrplan? Wir haben den Mann getroffen, der bei der S-Bahn München den Überblick über alle acht Linien plus Sonderzüge und Co. behält. Und zwar mit einer souveränen Entspanntheit, die seinesgleichen sucht.

Der Meister des Fahrplans

„Mitte Dezember tritt der neue Fahrplan in Kraft. Kommt mal rein, ich mach euch einen Kaffee und dann erklär ich euch, was das genau heißt.“ – Wer Michael von seinem Job sprechen hört, der muss seine grauen Zellen ganz schön anstrengen. Denn das, was er tut, ist mehr als komplex. Zusammen mit seinem Team ist der Leiter Fahrlagen- und Betriebshofplanung dafür zuständig, dass jede einzelne Zugfahrt Jahr für Jahr vorgeplant und die Züge gemäß Nachfrage, Personalressourcen, Budgetplanung und Co. getimt sind.

Am Anfang ist der Regelfahrplan

„Für das Jahr 2020 mussten wir knapp 20,5 Millionen Zugkilometer vorplanen“, erzählt uns Michael. Bestellt werden die sogenannten „Trassenkilometer“ alljährlich von der Bayrischen Eisenbahngesellschaft, kurz BEG. Michael und seine Kollegen erstellen daraufhin den Fahrplan – für alle Zugfahrten, für ein ganzes Jahr. Der wird aber nicht jedes Jahr komplett neu geschrieben. Stattdessen gibt es einen Regelfahrplan – sogenannte Mustertakte, in denen die Zuglinien laut Besteller fahren sollen. Dieser Regelfahrplan ist die Grundlage für Michaels Abteilung. Je nach Zug-, Taktungs- und Fahrgastbedarf modifizieren Michael und sein Team dieses „Gerüst“.

Kilometer auf Bestellung

Wie viele Zugkilometer und Fahrten von der BEG bestellt werden, hängt unter anderem von den Fahrgastzahlen und der Nachfrage ab. Da München stetig wächst, fahren auch immer mehr Menschen mit der S-Bahn. Darauf reagiert die BEG mit ihrer Bestellung, die Michael alljährlich über das Verkehrsvertragsmanagement auf den Schreibtisch bekommt. Ein Beispiel für den neuen Plan 2020: Die S1 soll auf Wunsch der BEG ab Mitte Dezember vom Ostbahnhof weiter als Fahrgastfahrt bis zum Leuchtenbergring fahren. Good News für alle, die sonst am Ostbahnhof erst noch umsteigen mussten. Aber auch populäre Sportveranstaltungen, Volksfeste und Co. hat die BEG auf dem Schirm und bestellt, wenn es notwendig ist, Sonderzüge bei Michael und seinem Team.

Jetzt wird gecheckt: intern und extern

Bevor das Team der S-Bahn München den Wunsch der BEG aber umsetzen kann, muss erst einmal gecheckt werden, ob die Erweiterung möglich ist. Nicht, dass es zu sogenannten Trassenkonflikten kommt. Heißt: Die Strecke wird just zu dem Zeitpunkt schon von einem anderen Anbieter befahren und der will zum Beispiel genau zum selben Zeitpunkt an genau derselben Haltestelle halten wie die S-Bahn. Solche Prüfungen übernimmt DB Netz, der Infrastrukturbetreiber der Deutschen Bahn, der für den Betrieb und die Instandhaltung des größten Schienennetzes Europas verantwortlich ist. Dann noch intern klären, ob zum Beispiel das Personal für die Mehrfahrten verfügbar ist und erst dann kann Michael die Änderung im Plan fixieren.

Regelfälle und Besonderheiten

Gott sei Dank müssen Michael und die Kollegen die einzelnen Abfahrtszeiten jeder S-Bahn nicht manuell in eine Tabelle eintragen – eine S-Bahn hält schließlich zwischen 4 und 22 Uhr alle paar Minuten. Das wäre also eine ziemliche Sisyphusarbeit. Michael und sein Team müssen aber vorgeben, in welcher Taktung der Zug fahren soll. Eine spezielle Fahrlagenplanungssoftware plant dann die genauen Abfahrtszeiten durch, welche dann bei DB Netz bestellt werden. Dort wird der komplette Jahresfahrplan auf Konflikte mit anderen Eisenbahngesellschaften, die unter Umständen zeitgleich eine bestimmte Strecke befahren möchten, geprüft.

Wenn die geprüften Trassen, also die bestätigten Fahrkorridore, von DB Netz zurückkommen, wird alles nochmals von Michael und seinem Team gegengeprüft.  Zusätzlich müssen Züge im Testverkehr, Betriebsfahrten und Co. geplant werden. Alle diese Besonderheiten, aber eben auch Regeltaktungen etc., muss der Leiter für Fahrlagen- und Betriebshofplanung im Kopf haben. Am Ende gibt das dreiköpfige Team um Michael den fertigen Fahrplan an die Auskunftsmedien weiter, wo ihn der Fahrgast dann – wann immer er möchte – abrufen kann.

Mit ganzem Herzen Bahner

Dass er irgendwann einmal so viel Verantwortung haben würde, hatte sich Michael damals gar nicht gedacht, als er nach einem stressigen Tag in seinem früheren Job als Dachdecker nach Hause kam und die Zeitung aufschlug. „Soll ich Lokführer werden?“, hatte er seine Freundin nicht ohne Schmunzeln gefragt, während ihm die Anzeige der S-Bahn München auf der Suche nach Quereinsteigern vom Papier aus entgegenlachte. Kurzentschlossen bewarb er sich und startete damit seine erfüllte Karriere: erst als Lokführer, dann in Bereichen mit Planungsaufgaben und heute als Leitung der Fahrlagen- und Betriebshofplanung.

Ein beruflicher Neuanfang, der Michael bis heute sehr glücklich macht. „Schon während der Ausbildung zum Lokführer habe ich gemerkt, was eigentlich für ein Bahner in mir steckt“, erzählt er. „Ich habe es nie bereut. Klar, es gibt auch mal schwere Tage, aber wo gibt‘s die nicht?! Als umweltbewusster Mensch find ich’s zum Beispiel einfach toll, dass ich mit meiner Arbeit dazu beitrage, dass so viele Menschen jeden Tag auf eine nachhaltige Weise unterwegs sein können.“ Und weil auch die Fahrgäste immer umweltbewusster denken, wird Michaels Job im nächsten Jahr wohl nicht weniger komplex werden. Was soll‘s?! Macht ja Spaß! Wir sind begeistert von so viel kompetenter Gelassenheit. Und sehen den Fahrplan, auf den wir jeden Tag gucken, ab jetzt mit ganz anderen Augen.