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Hinter den Kulissen
21.11.2019

Harry Potter und die Stimmen unserer S-Bahn

Fast so vertraut und typisch für München, wie der süße Senf zur Weißwurst oder die Butter zur Brezn, sind unsere S-Bahn Stimmen. Kein Wunder, denn die sympathische bayrische Stimme und die mit schönem Oxford-Englisch begleitet uns sage und schreibe schon zehn Jahre auf unseren Fahrten mit der S-Bahn. Doch zu wem gehören die eigentlich? Wie wird so eine Ansage überhaupt aufgenommen? Und was hat das bloß mit Harry Potter zu tun? Wir durften die beiden sympathischen Menschen hinter den populären Klängen im Tonstudio treffen.

Süddeutsch gefärbt trifft Oxford-Englisch

Wir sind verabredet. Im Tonstudio „Giesing Team“. Anders als man meinen könnte, schickt uns das Navi dafür nach Thalkirchen. „Etwas verwirrend, zugegeben. Aber unser erstes Studio war in Giesing“, erklärt uns Robert lachend. Er ist der Sounddesigner und schneidet heute die Aufnahmen. Bei ihm sitzen Regina Wallner und Graham Baxter. Obwohl wir die beiden zum ersten Mal treffen, kommt es uns vor, als ob wir alte Bekannte treffen – immerhin kennen wir die Stimmen ja schon ein ganzes Jahrzehnt! Wie hat das damals eigentlich alles angefangen, wollen wir wissen. „Über eine Zeitungsannonce“, erinnert sich der ehemalige Bankkaufmann Graham. „Gesucht wurde jemand, der Oxford-Englisch spricht und ich bin früher in Oxford zur Schule gegangen.“ Ähnlich ging es auch der damals 31-jährigen Journalistin Regina. Ihre Stimme kannten bereits einige von den Verkehrsansagen für den Bayerischen Rundfunk. „Gesucht wurde eine süddeutsch gefärbte Stimme, hieß es in dem Aufruf“, erinnert sich die vom Chiemsee stammende Regina. Beide wurden zum Casting eingeladen, die Stimmen harmonierten und, schwupps, war das neue akustische Dreamteam der S-Bahn München geboren. Für beide nicht nur der Beginn einer neuen Karriere, sondern auch der einer wunderbaren Freundschaft.

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A bissal a Schnauferei ist noch drin.
Regina Wallner, Stimme der S-Bahn München

Ab in die Kabine!

Und dann wird es aufregend: Wir dürfen das Tonstudio betreten. Cutter Robert nimmt an einem riesigen Mischpult Platz. Ein kurzes Nicken in Richtung Regina, die für die Akustik in einer gesonderten, schalldichten Kabine steht, aber durch eine Scheibe mit dem Cutter Blickkontakt halten kann – und los geht‘s. Mit klarer Stimme und dem vertrauten, rollenden „R“ spricht Regina die neuen Ansagen ein. Baustellen, Barrierefreiheit und Hinweise zu den Bahnsteigabständen stehen heute auf dem Programm. Input zu dem was eingesprochen werden muss, kommt zum Beispiel von der Bayerischen Eisenbahngesellschaft, den Kollegen, die sich um die Fahrpläne kümmern, dem Baustellenmanagement und Co. Eben aus allen Ecken, in denen fahrgastrelevante Informationen verwaltet werden. Anna, Referentin für Fahrgastinformation bei der S-Bahn München, hört aufmerksam zu. Sie koordiniert und plant die drei- bis viermal im Jahr stattfindenden Aufnahmen.

Robert schneidet derweil blitzschnell alles, was an Audiomaterial von Regina und Graham produziert wird, zusammen. Zu laute Atmung, Versprecher, das alles entfernt er in Sekundenschnelle, selektiert die Takes und setzt die Satzteile neu zusammen, wenn mal das Ende, mal der Anfang schöner gesprochen war. Fast wie Zauberei kommt uns das vor. Zauberhaft sind auch die Aufnahmen, die Regina Wallner und Graham Baxter zuletzt für die Adventszeit eingesprochen haben. „Advent, Advent – wia’d Zeit verrennt. Horcht’s zua ihr liaben Leid & losst’s eich sogn, alle miteinand möchte ma eich fahrn“ – Im schönsten Bayerisch werden bald weihnachtliche Grüße in den Münchner S-Bahnen erklingen. Und dann im klarsten Oxford-Englisch: „The Munich S-Bahn wishes all passengers a peaceful, pleasant Advent weekend and a safe journey.”

Ein magisches Tonstudio

Mit Magie kennt sich übrigens auch der Cutter aus, schließlich hat kein Geringerer als Rufus Beck in diesem Tonstudio die deutschen Harry Potter Hörbücher aufgenommen. Fast ebenso magisch geht es auch heute bei den Profis Regina und Graham zu: „Wir müssen darauf achten, dass die Stimme am Ende hoch oder runter geht. Je nachdem, ob der Satz für sich alleine steht oder eingefädelt wird“, erklärt uns Regina. Klar, sonst hört es sich für den Fahrgast komisch an, er ist irritiert und achtet nicht auf den Inhalt der Ansage. Immer wieder wiederholt Regina ihre Sätze, korrigiert sich selbst oder passt die Aussprache an, bis alles 100-prozentig sitzt. „A bissal a Schnauferei ist noch drin“, hören wir sie sagen. Doch mit der nächsten Aufnahme passt alles und Regina ist fertig. Nun ist Graham an der Reihe, um das Ganze noch einmal auf Englisch einzusprechen.

Anruf beim Bürgermeister

Wir merken schnell, wie anspruchsvoll die Arbeit der beiden Sprecher ist. Die größte Herausforderung? „Die richtige Aussprache der Orte“, sagt Regina. „Wir wollen natürlich alles richtig sagen, damit die Fahrgäste, die an der jeweiligen S-Bahn Station zuhause sind, auch ein vertrautes Gefühl beim Hören bekommen.“ Gar nicht immer so einfach – zum Beispiel bei Orten wie „Esting“ (Eeesting, Esssting, Estiing?) oder Zungenbrechern wie „Höllriegelskreuth“. Doch Regina weiß sich zu helfen: „Ich hab‘ dann auch einfach schonmal den Bürgermeister der Ortschaft angerufen, um mich zu erkundigen“, erzählt sie lachend. Sicher ist sicher!

Die Lieblingsansagen der beiden? „Natürlich Olching!“, platzt es aus dem grinsenden Graham heraus, „weil ich dort wohne.“ Bei Regina ist es die Ansage zum Oktoberfest. Daraus hat sich bei ihr auch die Tradition entwickelt, mindestens einmal im Jahr mit der S-Bahn zum Oktoberfest zu fahren. Oft besuchen Regina und Graham dann gemeinsam das Volksfest. Denn die zwei sind über die Jahre richtig gute Freunde geworden.

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Nach der ersten Ansage vor zehn Jahren habe ich mich ganz feierlich mit einem Dosen-Prosecco in die S-Bahn gesetzt.
Regina Wallner, Stimme der S-Bahn München
S-Bahn München an der Hackerbrücke

(Wahl-)Heimatliebe für München

Doch wie fühlt es sich denn jetzt so für die beiden sympathischen Charaktere an, mitunter die bekanntesten Stimmen Münchens zu haben? „Anfangs war ich ganz aufgeregt“, erzählt Regina schmunzelnd. „Nach der ersten Ansage vor zehn Jahren habe ich mich ganz feierlich mit einem Dosen-Prosecco in die S-Bahn gesetzt.“ Auch Graham, der mittlerweile in Rente ist, mag seinen Nebenberuf sehr. Auch wenn es manchmal immer noch ungewohnt für ihn sei, die eigene Stimme in den Zügen zu hören. Die Stimmen der beiden sind aus unserem S-Bahn Alltag nicht mehr wegzudenken. Was beide an ihrer Wahlheimat so schätzen, wollen wir am Ende noch wissen. „Die Lebensart, die Leute und die gemütliche Stimmung hier“, finden beide. Dank Regina wurde Graham, der seit 1984 in München lebt, sogar erst richtig „eingebayert“. Heißt: Nach ihrem Kennenlernen im Rahmen der S-Bahn Aufnahmen, trat er ihrem Trachtenverein bei.

Und so könnten wir noch ewig Zeit mit den beiden im Tonstudio verbringen, ihnen bei den Aufnahmen lauschen, Anekdoten ihrer Karriere anhören und dem harmonischen Teamgeist frönen – Aber klar, die beiden haben einen Job zu erledigen. Also verlassen wir sie und das Tonstudio wieder. Nicht ohne ein Fazit: So richtig sympathisch klingt eine Stimme nur dann, wenn ein Mensch mit Herz dahintersteckt. Das Treffen mit Regina und Graham hat uns das bestätigt. Und wenn wir sie mal vermissen sollten? Na, dann hören wir bei der Ansage in der S-Bahn einfach ein bisschen genauer hin.